Gästeführer aus Neustadt besuchen Wetzlar
Neustadt, 23. April 2024: Der jährliche Ausflug der Gästeführer Neustadt (Hessen) führte in diesem Jahr nach Wetzlar. Um 8.15 Uhr ging es vom Schlossplatz in Neustadt bei Schneeregen und ungemütlichen Temperaturen los. Um 10 Uhr begann die Stadtführung zum Thema „Fachwerk“ in Wetzlar vor dem Dom. Passend zum Thema trug die Stadtführerin eine Zimmermannskluft – allerdings witterungsbedingt tauschte sie den Stock gegen einen Regenschirm. Zunächst erfuhren die Gästeführer einiges über die Geschichte von Wetzlar, die Entstehung, die Bedeutung der Stadt, sowie Aufstieg und Niedergang. Im Anschluss wurde der Dom besichtigt, der nie wirklich vollständig fertiggestellt wurde. Bei genauem Betrachten ist zu erkennen, dass hinter dem gotischen Baustil, die ursprüngliche spätromanische Basilika teilweise noch erhalten ist. Eine weitere Besonderheit ist, dass im Dom zu Wetzlar nacheinander sowohl katholische als auch evangelische Gottesdienste stattfinden. Die Kirchenbänke sind für die wechselseitige Nutzung so gestaltet, dass die Rückenlehnen umgeklappt werden können, so dass die Gottesdienstbesucher immer in die gewünschte Richtung schauen können.
Durch verwinkelte Gassen ging es an verschiedenen Fachwerkhäusern vorbei. Die Stadtführerin wies auf Besonderheiten der Bauweise und auf einzelne Bewohner hin. Es ging am ältesten Fachwerkhaus Wetzlars, das in 1356 erbaut wurde, vorbei. Dieses Haus wurde 1986 grundlegend restauriert. Deutlich zu erkennen ist die Überbauung ab dem ersten Geschoss, was sich damit erklären lässt, dass früher der Grund besteuert wurde, auf dem die Grundmauern standen. Ein weiteres Schmuckstück ist das Haus „Zum Reichsapfel“ aus 1607, das reichhaltig verziert ist und vorne Abbildungen einer Sonne und des Reichsapfels zeigt.
Interessant waren die Einblicke in das Leben und Wirken eines Zimmermannes sowie die Bedeutung der Zünfte, die das Leben von der Wiege bis zur Bahre regelten. Lieferte ein Zimmermann „Pfusch“ ab, so wurde ihm sein Ohrgehänge ausgerissen und er wurde „Schlitzohr“ genannt. Außerdem hatte seinerzeit jeder Handwerker einen Löffel, mit dem er die angebotene Suppe oder den Brei essen konnte. Wenn er folglich seinen „Löffel abgibt“, dann benötigt er kein Essen mehr. Ein Kerbholz wurde als „Zählliste für Forderungen“ benutzt. Es wurden Kerben in ein Stück Holz geritzt, dieses wird dann gespalten und geteilt. Am Zahltag wurden beide Stücke zusammengelegt und die Schulden bezahlt. „Etwas auf dem Kerbholz haben“ bedeutete folglich Schulden zu haben.
Brände in den vergangenen Zeiten richteten großen Schaden an den Gebäuden an. Beim Neubau der Gebäude wurden Andreaskreuze oder auch „Feuerböcke“ angebracht, um die Bewohner vor Feuer zu schützen. Die sogenannten „Neidköpfe“ sollten Unheil und Böses abwenden.
Vor dem Lottehaus erfuhren die Gästeführer Einzelheiten über die Entstehungsgeschichte von Goethes Werther und bestaunen ein Graffiti, das bei näherem Betrachten eine Geschichte erzählt. August Bebel wohnte in jungen Jahren ebenfalls in Wetzlar, in einem noch heute erhaltenen Fachwerkhaus.
Ein letzter Fotostopp wurde am Eisenmarkt eingelegt, wo 1913/1914 mit der Ur-Leica ein Foto von einem Fachwerkhaus erstellt wurde. – Der eine oder andere Gästeführer erstellte von genau diesem Punkt ein aktuelles Foto von dem Fachwerkhaus.
Nach dem sehr informativen und lehrreichen Stadtrundgang war ein gutes Mittagessen zur Stärkung und zum Aufwärmen angesagt, da es mit maximal 6 Grad ohne Sonne ziemlich frisch war. Mit einem Besuch des Keltengehöftes am Dünsberg, in dem die Besiedlung des Dünsbergs vom 8. Jhd. vor Chr. bis zur Zeit Christi Geburt dargestellt wird, wurde der Heimweg unterbrochen.
Gegen 16 Uhr waren die Gästeführer mit vielen neuen Eindrücken und Informationen über Fachwerk wieder zurück in Neustadt.